Bei Filmemachern gibt es eine Faustregel, die besagt, dass man Videos immer mit dem Kehrwert der doppelten Framerate belichten sollte, um eine schöne Bewegungswiedergabe zu erreichen oder den sogenannten “Filmlook”. Diese Regel nennt man die 180°-Shutter-Regel. Allerdings ist es nicht immer einfach, sie in der Praxis umzusetzen, da der Blendenspielraum des Objektivs unter Tageslicht oft nicht ausreicht, um eine so lange Belichtungszeit zu erlauben. Um diesem Problem zu begegnen, benutzen viele Filmer feste oder variable ND-Filter. Doch stellt sich die Frage, ob die Einhaltung der Regel wirklich so wichtig ist und den Mehraufwand rechtfertigt.
Nur wenige Filmer wissen, woher die 180°-Shutter-Regel ursprünglich kommt und wann ihre Anwendung heute noch sinnvoll ist. Oft wird die Regel missverstanden, zu wörtlich genommen oder sogar in Situationen angewendet, wo sie völlig fehl am Platz ist und die Ergebnisse eher verschlechtert.
Der Begriff “Shutter” kommt von analogen Filmkameras und bezieht sich auf den mechanischen Verschluss, der die Belichtungszeit regelt. Bei Filmkameras wurde der Film zwischen den einzelnen Aufnahmen weitertransportiert und in dieser Zeit durfte keine Belichtung stattfinden. Daher wurden Filmkameras mit Flügelblenden ausgestattet, die synchron zum Filmtransport liefen und dafür sorgten, dass das Filmfenster während der Transportphasen abgedunkelt war. Das zeitliche Verhältnis von Hell- und Dunkelphasen wurde als Maß für die Belichtungszeit verwendet. Als Quasi-Standard für Filmkameras etablierten sich Hellsektor und Dunkelsektor von jeweils 180°, also die Hälfte der Zeit wurde das Filmfenster für den Filmtransport abgedunkelt, die andere Hälfte der Zeit wurde belichtet. So ergaben sich Belichtungszeiten nach einer einfachen Regel, die wir bis heute als 180°-Shutter-Regel kennen.
In ihrem Ursprung diente die 180°-Shutter-Regel gar nicht dazu, die bestmögliche Belichtungszeit zu einer bestimmten Framerate zu finden, da die Belichtungszeit bereits durch die Framerate und die Auslegung der Flügelblende festgelegt war. Die Regel diente lediglich dazu, diese bereits feststehende Belichtungszeit als Zahlenwert zu ermitteln, damit man sie am Belichtungsmesser einstellen konnte.
Für Zeitlupen und Zeitraffer hat die Regel jedoch eine besondere Bedeutung, da bei diesen Aufnahmen die Belichtungszeit oft länger sein muss, um ein flüssiges Bild zu erhalten. Hier kann die Einhaltung der 180°-Shutter-Regel sinnvoll sein, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.
Digitale Filmkameras
Durch die Einführung digitaler Filmkameras eröffneten sich dem Filmemacher neue Freiheiten in der Wahl der Belichtungszeit. Es gab keine mechanisch bedingte Verknüpfung mehr zwischen Framerate und Belichtungszeit, was längere Belichtungszeiten bis hin zum Kehrwert der Framerate ermöglichte. Allerdings stellte sich bald heraus, dass eine zu lange Belichtungszeit bei typischen Frameraten von 24 oder 25 fps unangenehme Nachzieheffekte erzeugte, während zu kurze Belichtungszeiten zu abgehackten Bewegungen führten. Es wurde festgestellt, dass die Verwendung von Belichtungszeiten in der Größenordnung 1/48 oder 1/50 Sekunde immer noch den besten Kompromiss liefert. Dies entspricht auch der 180°-Shutter-Regel, die auch bei Zeitlupen und Zeitraffern gilt. Für höhere Wiedergabe-Frameraten wie 50 oder 60 fps ist die Belichtungszeit immer noch wichtig, aber nicht so stark wie bei langsamen Frameraten. Versuche haben gezeigt, dass man in Sachen Belichtungszeit umso flexibler ist, je höher die Wiedergabe-Framerate gewählt wird.
Wie soll man die Shutter-Regel einhalten?
Es gibt gelegentlich Anfragen von Filmern in Videoforen, die bei einer Bildrate von 24 fps filmen möchten und feststellen, dass ihre Kamera keine 1/48 Sekunde Belichtungszeit anbietet, sondern nur eine Annäherung in Form von 1/50 Sekunde. Wenn man sich an die Regel halten möchte, stellt sich die Frage: Wie genau muss man den Wert einhalten?
Es ist wichtig zu beachten, dass die Regel das subjektive Empfinden von filmischer Bewegung betrifft und nicht technische Notwendigkeiten. Daher ist es ausreichend, die grobe Größenordnung einzuhalten. Durch Vergleichsaufnahmen lässt sich schnell feststellen, dass innerhalb eines bestimmten Bereichs nahezu der gleiche optische Eindruck erzielt wird. Konkret bedeutet dies, dass bei 24 oder 25 fps eine Belichtungszeit von 1/50 Sekunde verwendet werden kann, aber genauso gut 1/40 Sekunde oder 1/60 Sekunde. Kaum jemand wird den Unterschied erkennen – und wenn überhaupt, dann nur bei einem kritischen Direktvergleich.
Die Behauptung, dass für 24 fps exakt 1/48 Sekunde verwendet werden muss, anstatt 1/50 Sekunde, ist völliger Unsinn. Niemand würde diesen geringen Unterschied erkennen.
Auf der anderen Seite kann es gute technische Gründe geben, von der Regel abzuweichen. Wenn beispielsweise flimmernde Lichtquellen oder Computermonitore im Bild zu sehen sind und ihre Flimmerfrequenz nicht mit der Framerate übereinstimmt, kann eine passende Belichtungszeit zur Unterdrückung des Flimmerns verwendet werden. Wenn man beispielsweise mit 25 fps filmt und einen 60-Hz-Computermonitor im Bild hat, empfiehlt sich eine Belichtungszeit von 1/60 Sekunde. Wenn man mit 30 fps filmt und das Raumlicht in Netzfrequenz (50 Hz) flimmert, sollte unbedingt eine Belichtungszeit von 1/50 Sekunde gewählt werden. Nicht alle Lichtquellen flimmern deutlich, aber ihre Anzahl nimmt weiter zu. Fast alle billigen LED-Leuchtmittel sind betroffen.
Kameraeinstellung nach Shutterwinkel?
Wenn man das Filmen noch mit analogen Kameras erlernt hat, kennt man den Umgang mit Shutterwinkeln und muss sich erst an die Einstellung von Belichtungszeiten unabhängig von der Aufnahmeframerate gewöhnen. Digitale Filmkamerahersteller haben diese Notwendigkeit erkannt und bieten optional die Möglichkeit, einen Shutterwinkel anstelle von direkten Belichtungszeiten einzustellen. Wenn man die Kamera beispielsweise auf einen Hellsektor von 180° einstellt, muss man sich nicht mehr um die Belichtungszeit kümmern. Diese wird dann automatisch und präzise gemäß der 180°-Shutter-Regel eingestellt – unabhängig davon, ob man in Echtzeit filmt oder abweichende Frameraten für Zeitlupen/Zeitraffer verwendet. Eine digitale Kamera verhält sich dann genauso wie eine Filmkamera.
Die Frage ist, ob diese Vorgehensweise wirklich sinnvoll ist.
Wenn man tatsächlich “filmisch” mit Wiedergabeframeraten von 24 oder 25 fps arbeitet und gelegentlich höhere oder niedrigere Aufnahmeframeraten für Zeitraffer und Zeitlupen verwendet, scheint die Shutterwinkel-Vorgabe recht nützlich zu sein. Allerdings macht sie es relativ schwierig und kompliziert, auf die Flimmerfrequenzen von Lichtquellen und Monitoren einzugehen. Wenn man beispielsweise mit 24 fps filmt und die Kamera auf einen 180°-Hellsektor einstellt, belichtet man immer genau 1/48 Sekunde – was in europäischen Stromnetzen häufig zu Lichtflimmern führt. Wer dies über den Shutterwinkel korrigieren möchte, muss sehr umständlich rechnen und 172,8° einstellen (da dies 1/50 Sekunde Belichtung bei 24 fps entspricht). Das Rechnen kann man sich jedoch sparen, indem man die Belichtungszeiten direkt einstellt.
Wenn man eine höhere Wiedergabeframerate wie 50 oder 60 fps anstrebt, ist man von vornherein mit einem festen Shutterwinkel nicht gut bedient. Es gibt viele Gründe, bewusst von der 180°-Shutter-Regel abzuweichen (siehe auch nächsten Abschnitt).
Die Shutter-Regel für UHD (4k)???
Die Anwendung der 180°-Shutter-Regel bei UHD (4k) steht in Frage. Obwohl die Regel eine angemessene Bewegungsunschärfe bietet, um ruckelfreie Bewegungen zu erzielen, reduziert sie auch die Detailauflösung. Bei Szenen mit viel Bewegung können feine Details im Bild kaum noch erkannt werden. Dieser Effekt wird bei UHD-Auflösung und 24 fps besonders deutlich. Die Bildqualität ist nur scharf und detailreich, wenn sich im Bild nichts Wesentliches bewegt. Sobald die Kamera schwenkt oder sich ein größeres Motiv durchs Bild bewegt, fällt die Detailauflösung drastisch ab, so dass kleine Beschriftungen in Bewegung unkenntlich werden können.
Dieser Effekt ist bei HD-Auflösung weniger ausgeprägt und bei SD-Auflösung kaum noch zu sehen. Je höher die Auflösung jedoch wird, desto stärker kann sich die Bewegungsunschärfe auswirken. In solchen Situationen kann es sinnvoll sein, die 180°-Shutter-Regel nicht anzuwenden, um schärfere Einzelbilder zu erhalten. Allerdings geht dies auf Kosten des Ruckeleffekts, insbesondere bei niedrigen Frameraten. Mit höheren Frameraten wie 50 oder 60 fps kann man den Ruckeleffekt reduzieren und so eine flüssigere Bewegungsdarstellung erreichen. Für perfekte Ergebnisse mit einer flüssigen Bewegungsdarstellung und einer hohen Detailauflösung sind jedoch noch höhere Wiedergabeframeraten erforderlich, für die es derzeit keine Standards gibt und die auch aufgrund der enormen Datenmengen kaum praktikabel sind.
Der Nachteil von hohen Frameraten besteht darin, dass der “Filmlook” verloren geht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Ideal einer geringen Framerate und großer Bewegungsunschärfe überhaupt noch sinnvoll ist, insbesondere in Verbindung mit ultrahohen Bildauflösungen. Eine UHD- oder 4k-Auflösung, die man quasi nur in statischen Einstellungen sehen kann und die in Bewegung an Detailauflösung verliert, ist nur von begrenztem Nutzen. Bei zukünftigen 8k-Formaten und größeren Bildschirmen könnten diese Probleme noch stärker auftreten.
Obwohl am Markt derzeit noch 4k/UHD-Kameras dominieren, die maximal 30 fps aufnehmen können, wird auf lange Sicht eine Erhöhung der Framerate notwendig sein, um hohe Auflösungen richtig auszureizen. Die “Bewegungsglättungen” moderner Fernsehgeräte können zwar fehlende Bewegungsschritte kompensieren, sind jedoch je nach Motiv fehleranfällig und keine dauerhafte Lösung.
Tipps für die Praxis: Wahl der passenden Belichtungszeiten
Um die passende Belichtungszeit zu wählen, ist es wichtig, die Größenordnung der Wiedergabeframeraten zu berücksichtigen.
Für 24 und 25 fps empfiehlt es sich, eine Belichtungszeit gemäß der 180°-Shutter-Regel zu verwenden. Eine Belichtungszeit von 1/50 Sekunde ist hierbei eine gute Wahl. Wenn Rücksicht auf 60-Hz-Flimmerquellen genommen werden muss, kann auch auf 1/60 Sekunde (oder in dunkler Umgebung mit wenig Bewegung sogar auf 1/30 Sekunde) ausgewichen werden.
Bei Zeitlupen oder Zeitraffer, die auf 24 oder 25 fps verlangsamt oder beschleunigt werden sollen, sollte eine Belichtungszeit gemäß der 180°-Shutter-Regel gewählt werden. Wenn beispielsweise bei 50 fps gedreht wird und das Filmmaterial später auf 25 fps verlangsamt werden soll, empfiehlt sich eine Belichtungszeit von 1/100 Sekunde.
Für 30 fps sollte man sich ebenfalls in der Größenordnung der 180°-Shutter-Regel bewegen, jedoch kann bei Bedarf stärker davon abgewichen werden. Eine Belichtungszeit von 1/50 Sekunde bietet sich hier an.
Bei 50 und 60 fps ist eine Beachtung der 180°-Shutter-Regel zwar möglich, jedoch nicht immer die beste Wahl. Es sollte sich eher an anderen Überlegungen orientiert werden und bei Bedarf bewusst von der Regel abgewichen werden.
Wenn man beispielsweise mit 50 fps und einer Belichtungszeit von 1/50 Sekunde dreht und später eine Zeitlupe mit 120 fps erstellt werden soll, empfiehlt es sich, eine Belichtungszeit von 1/120 Sekunde zu wählen.
Es ist auch möglich, sich bei allen Frameraten auf eine Belichtungszeit von 1/50 Sekunde zu beschränken, um mögliche Flimmerprobleme zu vermeiden.
In jedem Fall sollte man bei der Wahl der Belichtungszeit bedenken, dass es keine allgemein gültige Regel gibt. Es hängt immer von den individuellen Gegebenheiten ab und erfordert eine gewisse Experimentierfreude.